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Rogér Schöppe - die Familie geht vor

Text: Anja Martin

Ein Anlagenmechaniker war von heute auf morgen alleinerziehender Vater. Und jahrelang arbeitslos, weil ihn die Kinder brauchten. Nun schaffte er den Wiedereinstieg – mit viel Energie, einem flexiblen Chef und einem beliebten Paragrafen.

Ein Hof am Rande der Innenstadt von Hamm, mit Garagen, Werkstätten, ein paar Wohnhäusern. Rogér Schöppe ist seit halb acht hier, an seinem Arbeitsplatz bei Haustechnik Stratmann. Es ist ein morgendliches Hin und Her. Mitarbeiter in schwarzgelben Arbeitshosen der Firma starten zu Baustellen, beladen Transporter, suchen Material und Werkzeug zusammen. Andere rufen an, weil etwas vor Ort unklar ist. Wieder andere kommen zurück, weil sie etwas vergessen haben.

Auch Schöppe, 49, kurz geschorene Haare, schwarze Brille, fährt nachher noch auf eine Baustelle. Das kleine Unternehmen renoviert Altbauwohnungen – macht Trockenbau, verlegt Fliesen, malert, baut Heizungen, Klos und Duschen ein, auch mal eine Klimaanlage. Zuerst wartet aber noch ein bisschen Büroarbeit. Der Anlagenmechaniker ist der einzige außer dem Chef, der einen kleinen Raum mit Schreibtisch hat. Denn er schreibt auch Angebote, holt Preise ein, plant Bäder mit Kunden. Wären momentan nicht Sommerferien, hätte er vor Arbeitsbeginn schon Pausenbrote geschmiert und die Kinder zur Schule gefahren.

Rogér Schöppe ist alleinerziehender Vater. Heute sind die bei ihm lebenden Kinder 12 und 16 Jahre alt, bei der Trennung von seiner zweiten Frau waren sie 3 und 7. Die Mutter wollte, dass sie bei ihm bleiben. Anfangs kümmerte er sich um eine weitere Tochter seiner Frau, die dann aber zu ihrem leiblichen Vater zog. Für ihn änderte sich da alles: „Vorher war ich ein Hobbypapa.“ Zwar mit Leidenschaft und Liebe, aber eben erst nach Feierabend, für die Freizeit zuständig. „Du hattest so ja nichts zu tun mit der Orga, auch mit dem Haushalt hattest du nichts zu tun“, erinnert er sich. „Von jetzt auf gleich alles selber zu managen, das ist dann schon schwer.“ An seinem Monitor im Büro kleben Post-its der Kinder. Mit Sätzen wie: Papa, ich hab dich lieb! Schöppe strahlt, denn ohne Zweifel: „Da hat man doch das Gefühl, dass man als Vater etwas richtig gemacht hat.“

Geboren ist er in Halle, machte eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur, Spezialisierungsrichtung Rohrleitungs- und Behälterbau. Kaum fertig, kam die Wende und sein Betrieb ging in Kurzarbeit. Bei einem Familienbesuch in Hamm beschloss er zu bleiben. Da sein DDR-Ausbildungsberuf im Westen nicht anerkannt war, schulte er auf Zentralheizungs- und Lüftungsbauer um, sogar mit Auszeichnung. Alles lief gut, er arbeitete durchgehend und Vollzeit auf seinem Beruf. Bis er plötzlich nicht nur Anlagenbauer, sondern auch Alleinerziehender war. Das konnte sich sein damaliger Arbeitgeber offensichtlich nicht vorstellen. Es kam zur Kündigung.

Du bist nie genug. Wer sagt das?

Und zur Arbeitslosigkeit. Er fand keine neue Stelle. Und das Jugendamt befand, dass es ohnehin keine gute Idee wäre, weil die Kinder traumatisiert seien und besonders viel Zeit bräuchten. Es folgten Rehas und Klinikaufenthalte, gemeinsam mit den Kindern. Auch bei ihm kam einiges hoch. Schöppe zeigt eine mehrere Zentimeter lange Narbe am Kopf: „Das war der Fünfer. Auerbach.“ In der DDR war er als Kind auf einer Sportschule, trainierte für Turmspringerwettbewerbe. Der Drill und die immer mitschwingende Message: Du bist nie genug. Das hatte sich tief eingeschrieben. Aber er weiß heute, dass er definitiv vieles richtig gemacht hat. Dass er die Kinder genommen hat, dass er Hilfe in Anspruch genommen hat, etwa mit Therapien und Vater-Kind-Kur.

Zurück in den Beruf mit 16i

„Wir kennen uns eigentlich schon ewig“, erzählt sein heutiger Arbeitgeber Dirk Stratmann, groß, graublonde Haare, freundlicher Gesichtsausdruck. Die beiden waren sich vor Schöppes Arbeitslosigkeit immer mal wieder auf Baustellen begegnet – Hamm ist ja keine Großstadt, da weiß man voneinander. Wie die anderen auch, trägt Stratmann das Firmen-Shirt und Arbeitshosen. Dass er der Chef ist, merkt man nur daran, dass ihn alle etwas fragen und andauernd sein Handy klingelt. Gerade kommen zwei Mitarbeiter zurück. Der Transporter hat ein Problem. Stratmann steht mit ihnen an der offenen Motorhaube. Ratlose Gesichter. Nichts zu machen. Schnell alles umladen und wieder los.

Stratmann und Schöppe, das war sofort ein perfektes Match. Der Arbeitgeber konnte sehr gut einen Installateur gebrauchen, denn das Gewerk fehlte ihm noch im Unternehmen. Und der Arbeitslose wollte zurück in seinen Beruf. Da Stratmann schon mit dem Arbeitgeberservice des Jobcenters in Kontakt war, wusste er um die Möglichkeiten des Paragrafen 16i. Eigentlich muss der Kandidat dafür in den letzten sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang Leistungen empfangen haben. Doch bei Erziehenden reichen fünf Jahre. Somit war Rogér Schöppe 16i-fähig und alles passte.

Am 1.1.2019 begann das Arbeitsverhältnis. Somit ist er definitiv einer der ersten 16i-ler in Hamm, denn das Teilhabechancengesetz (§ 16i SGB II) existiert erst seit diesem Tag. Die Förderung geht an den Arbeitgeber. Bei einem 5-Jahres-Vertrag zahlt das Jobcenter in den ersten zwei Jahren hundert Prozent des Gehalts, dann neunzig, achtzig und schließlich siebzig Prozent. Die Nachfrage nach der Maßnahme ist in Hamm sehr hoch und viele Vermittlungen kamen zustande. Ein Coach begleitet die ehemaligen Langzeitarbeitslosen, denn von null auf hundert in eine 40-Stunden-Woche ist eine Herausforderung. Und kaum einer ist grundlos so lange ohne Arbeit. Da kann ein begleitendes und oft auch vorausgehendes Coaching vieles abfedern, auch bei privaten Problemen unterstützen. Schöppe ist das absolute Positivbeispiel. Er wusste schon, was er arbeiten will und wo er arbeiten will. Außerdem hat er eine Berufsausbildung und sogar Berufserfahrung. Andere, die gefördert werden, haben teils nicht mal einen Schulabschluss, so die Erfahrung des kommunalen Jobcenters, und teils noch nie gearbeitet.

„Wenn Rogér ein Badezimmer macht, muss ich nicht hinfahren“, sagt Stratmann. „Wenn er sagt, er ist fertig, da ist alles schick, dann ist das auch so. Da kann ich ihm blind vertrauen.“ Was Genauigkeit, Sachverstand und Selbständigkeit angeht, kann er ihn also voll einsetzen. Allerdings: „Das einzige was wir immer koordinieren müssen, ist das mit seinen Kindern. Ich habe ja selber Kinder und weiß wie das ist.“ Da gibt es immer was: Krankheit, Sport, Schule. Da sind wir jetzt so verblieben: Wenn er was hat, dann fährt er, auch spontan, und das hängen wir hinten wieder dran. Das sehen wir ganz locker. Wir sind hier sozial.“

Arbeiten auf Augenhöhe - so funktioniert's

Sie sitzen in zwei kleinen Räumen nebeneinander, in die grade mal ein Schreibtisch passt und rufen sich durch die Türöffnung Maße, Preise, Ausführungen zu. Zu zweit geht auch der Papierkram leichter. „Büro ist immer ein rotes Tuch für mich“, sagt Stratmann. „Wir ergänzen uns. Er hat die Härte, die mir manches Mal ein bisschen fehlt.“ Von Hierarchie ist nicht viel zu merken, eher von gegenseitigem Respekt und vielleicht sogar von Freundschaft. Als Stratmann in Quarantäne war, konnte Schöppe sogar einspringen.

Aber jetzt muss der Anlagenmechaniker los, zur Baustelle. Unterwegs noch ein Stopp beim Großhändler. Ein paar Details fürs Bad fehlen noch. Im Auto klingelt das Telefon: Anruf von einer Arztpraxis. Es geht um einen Termin für seine Tochter. Klar geht er ran. Er muss sich ja kümmern. Nach Feierabend würde er da sowieso keinen mehr erreichen. Grade will er beim Kunden anfangen, im Badezimmer der zu sanierenden Wohnung, klingelt es wieder: „Ja, darfst du. Ja!“ spricht er ganz ruhig ins Telefon. Der 12-Jährige wollte wissen, ob er sich eine 5-Minuten-Terrine nehmen darf. Ist doch gut, wenn er weiß, dass er Papa jederzeit auf Arbeit anrufen darf. Jetzt noch Thermostate auf die Heizkörper, eine Abdeckhaube in die Dusche, alte Toilette ab, neue ran.

Positives Feedback macht zufrieden

Was ihm an seinem Job gefällt: „Dass ich eine gewisse Freiheit habe. Und mich selbst verwirklichen kann.“ Er liebt es, mitzugestalten. Mit Kunden Bäder planen, Ratschläge bei der Produktwahl geben. „Wenn man an den Augen der Leute sieht, wie zufrieden die sind, das ist für mich schon ein positives Feedback.“ Selbstverwirklichung heißt, sagt er, für sich selbst entscheiden, was man will. Und auch, wenn man mal nicht will. „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde: Jeder Tag ist gut. Für mich ist es wichtig, dass ich mich rausziehen kann, wenn es mir zuviel wird.“ Sei es für sich oder für die Kinder. Denen versucht er vor allem Halt und ein positives Mindset mitzugeben. Sein Motto: Wir werden im Leben immer Glück haben. Und wenn wir mal Pech haben, werden wir wieder hochkommen und am Ende wird es noch besser sein. Er sieht den Sinn des Lebens in der Gemeinschaft, im Zusammenhalt, in der Familie. Und da muss der Job dann auch mal kurz Pause machen.

Kommunales Jobcenter Hamm AöR,Nordrhein-Westfalen